Nicht für die Schule, sondern für das Leben kochen wir.

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Bild: © Sarah Krobath

Da sitzen wir nun, andächtig schweigend, gebannt lauschend. Das Omelett hat das Wort. Silent Cooking. Nur kocht diesmal nicht Patrick Müller auf 3Sat, sondern Barny Haughton von der Britischen Square Food Foundation mit 25 Studenten und angehenden Gastronomen in Bra im Piemont.

„Das ist keine Kochschule!“, verteidigen wir uns jedes Mal entrüstet, wenn wieder einmal jemand das Fachgebiet unserer Ausbildung missversteht. Universität der Gastronomischen Wissenschaften, was lernt man da? Von der chemischen Reaktion, die man beim Beträufeln einer Karotte mit Zitronensaft in Gang setzt? Darüber, warum Öl und Eidotter, anfangs unversöhnlich, sich bei geduldigem Rühren doch zu Mayonnaise vereinen lassen? Oder gar kulinarische Experimentalphysik, wie sie Werner Gruber von den Science Busters im Fernsehen verzapft? Weder noch. Und gleichzeitig irgendwie sowohl als auch. In unserem Klassenzimmer hängt keine Messerleiste an der Wand, wir erscheinen nicht in Schürzen oder Karohosen zum Unterricht und, wenn nicht gerade Mittagspause herrscht, findet man auch kein Stillleben aus Lebensmitteln auf unseren Tischen. Die Lehreinheit mit Barny ist die erste, die in einer Küche abgehalten wird, und stellt damit auf unserem üppig mit theoretischen Fächern wie Language of Gastronomy, Food Economy und Sustainable Agriculture beziehungsweise Sensory Analysis bestückten Stundenplan eine Ausnahme dar.

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Bild: © Sarah Krobath

„Will der uns echt beibringen, wie man aufgeschlagene Eier über Gemüse kippt?“, ist in unseren fragenden Blicken zu lesen, als wir auf der Anrichte Eier in einem Nest aus Grünzeug erspähen. Um dem ehemaligen Restaurantbesitzer, der gelernten Köchin und den übrigen ambitionierten Foodies in meiner Klasse etwas Neues zu vermitteln, müsste er schon mit molekularküchentechnischen Geschützen oder wenigstens einem Sous-vide Kocher auffahren. „Ich bin sicher, ihr alle wisst, wie man ein Omelett zubereitet“, reagiert der sympathische Herr im schlichten Strickpulli auf die Fragezeichen in unseren Gesichtern und fügt während er sich eine Schürze umbindet hinzu „ziemlich sicher seid ihr bessere Köche als ich.“

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Bild: Sensory Analysis © Sarah Krobath

„Wir sind keine Kochschüler!“, sind wir stets bemüht, unsere akademische Weste abzuputzen und sie frei von handwerksbedingten Flecken zu halten. Gäbe es ein Ranking der in unserem Klassenzimmer meist zitierten Persönlichkeiten, würde es nicht von Paul Bocuse, Eckart Witzigmann, Ferran Adrià oder René Redzepi, sondern von Claude Lévi-Strauss angeführt. „Damit ein Nahrungsmittel gut zu essen ist, muss es gut zu denken sein.“ Wer die Erkenntnis des französischen Anthropologen darüber, dass Lebensmittel mindestens so reich an symbolischer Bedeutung wie an Kalorien sind, nicht unterschreibt, würde wohl kaum ein Studium mit dem Titel „Food Culture and Communications, Media, Representation and High-Quality Food“ belegen. Im Rahmen dieser akademischen Ausbildung haben wir in den letzten neun Monaten Bier von den USA über England und Belgien bis Deutschland verkostet, Schokolade sämtlicher Kakao-Anbaugebiete um den Globus und die primären Aromastoffe sowie trigeminalen Reize der namhaftesten Käse analysiert. Wir haben unsere Nasen über oxidiertem und durch Brettanomyces-Hefen verdorbenem Wein gerümpft und komplexe Bouquets inhaliert, uns an hochwertigem Olivenöl sowie hochprozentigen Spirituosen verschluckt und in den Reifungskellern von Parmigiano Reggiano Mäuschen gespielt.

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Bild: Parmigiano Reggiano © Sarah Krobath

Jeden Monat durften meine Klassenkollegen und ich auf einer Studienreise Produzenten über die Schulter in deren Kupferkessel, Steinöfen, Balsamico-Fässer und Weinkeller schauen. In der Emilia-Romagna haben wir selbst Hand an mit Schweinefleisch, Salz, Gewürzen und Lambrusco gefüllte Dünndärme – sprich Salami – gelegt, in Kalabrien Bio-Orangen vom Baum gepflückt und uns in Istanbul die Finger nach handgemachten pistaziengrünen Turkish Delights geleckt. Ein kanadischer Fernsehproduzent hat uns in seinem Food-TV-Bootcamp sogar vor laufender Kamera Mirepoix schnippeln lassen – inklusive fernsehreifem Auftritt des Erste-Hilfe-Koffers.

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Bild: Prosciutto di Parma © Sarah Krobath

Sechs Stunden am Tag, fünf Tage die Woche haben wir Lebensmittel gedacht, geprüft und gekostet. Und gekocht? Ginge es nach Barny, müsste Monsieur Lévi-Strauss seine Definition noch einmal überdenken und sie folgendermaßen umformulieren: „Damit ein Nahrungsmittel gut zu essen ist, muss es gut zu denken und zu kochen sein.“ Die Grundlagen des Kochens zu erlernen, klärt uns der Koch, Restaurateur, Lehrer und Aktivist auf, hilft Menschen Vertrauen in sich selbst, das Gefühl der Zugehörigkeit und ein breiteres Weltbild zu entwickeln. Mehr noch: Kochen fördere eine Kultur zutage, durch die Gemeinschaften und auch lokale Lebensmittelsysteme gestärkt werden. Aus dieser Überzeugung heraus heißt Barny in seiner Kochschule in Bristol Menschen unterschiedlichsten Alters und aus jeglichen Verhältnissen willkommen – Mütter an der Armutsgrenze, Drogensüchtige und Jugendliche aus schwierigen familiären Umständen gleich herzlich wie wohlhabende Genießer. Die Kurse für Erstere finanziert er mit den Einnahmen aus den Kursen für Letztere. Kochen soll kein Luxus sein. Kochen ist essenziell. Trotzdem wird Kochunterricht in den meisten Ausbildungsstätten, von Haushalts- und Tourismusschulen einmal abgesehen, wie ein Stiefkind behandelt. In dem von mir besuchten, auf eine breite Allgemeinbildung ausgerichteten Gymnasium war das damals nicht anders. Linolschnitt und Kalligrafie, die mir im Fach Bildnerische Erziehung beigebracht wurden, habe ich in meinem Alltag bisher ebenso wenig einsetzen können wie die enharmonische Verwechslung aus dem Musikunterricht, kochen dagegen, tue ich zwei- bis dreimal am Tag. In Italien habe ich in meiner Freizeit angesichts der vielen Eat-ins, Verköstigungen von Lerngruppen, Dinnerpartys und Einführungen in die Landesküchen meiner Mitstudenten gleich viele Stunden hinter dem Herd wie meinem Schreibtisch verbracht. Ohne dabei mein Studium herabzuwürdigen, kann ich behaupten, dass ich von meinen Kollegen mindestens genauso viel gelernt habe wie von unseren internationalen Vortragenden und den Autoren unserer Pflichtlektüre. Wie viel, ist mir erst an dem Tag mit Barny bewusst geworden.

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Bild: UNISG © Sarah Krobath

Nachdem das Omelett goldgelb gebacken ist, wir gemeinsam einen Zucchini-Karotten-Salat geschnitten und mariniert und von Hand eine Mayonnaise geschlagen haben, ist es an der Zeit unsere Hausaufgaben zu präsentieren. „Bereite eine Speise zu, die repräsentiert, was du an Essen liebst, und teile es mit den anderen“, so die Aufgabenstellung, die uns Barny im Voraus erteilt hatte. In kürzester Zeit haben wir einen fünf Meter langen Gabentisch aufgebaut, der jedem All-you-can-eat-Buffet von Las Vegas die Schau stehlen würde. Kimbap (Koreanische Reisröllchen) türmen sich neben einem Teller Arroz con menestra (Reis mit Bohnen auf Ecuadorianische Art) und einer randvollen Schale Halva, die Pappa al Pomodoro passt farblich zu den Spaghetti mit Nussbällchen wie die Rote-Zwiebel-Tarte zur Erdbeer-Frangipane und mein Linsen-Apfel-Salat nimmt am grünen Eck zwischen den Salatschüsseln Platz.

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Bild: © Sarah Krobath

Bevor wir gustierend die Polonaise vom einen ans andere Ende der Tafel starten, lauschen wir den Geschichten unserer Mitstudenten – Geschichten über ferne Länder, liebevolle Mütter, gemeisterte Herausforderungen und magische Begegnungen wie diese. Wenn mich Freunde und Familienmitglieder zurück in Österreich fragen, ob ich denn nun mit Tranchiermessern jonglieren und aus dem Effeff ein Fünf-Sterne-Menü aus der Kochmütze zaubern könne, muss ich sie enttäuschen: Wir haben nicht gelernt, wie gekocht wird. Aber wir haben begriffen, warum. Um es mit den Worten von Barny zu sagen: „Weil wir Menschen sind. Deshalb ist es wichtig, dass wir kochen.“

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  • ein gank klein bisserl neidisch bin ich. aber noch viel mehr finde ich super, dass du das gemacht hast, und bin so gespannt, wie’s war und was am besten war und wie’s jetzt weitergeht.

  • danke vielmals! die neun monate sind vergangen wie im drive-through. bis ich die vielen tollen erfahrungen und das geballte neue wissen verdaut hab, dauert’s aber wohl noch eine weile. vergessen werd ich das jahr bestimmt nie und ich hoffe, die ganzen lieben menschen, die es mit mir verbracht haben, irgendwann alle wiederzusehen. gespannt wie’s weitergeht, bin ich im übrigen auch 😉

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