Besoffene Käse und gereifte Biere – Italien besucht Wien.

Ziegenkäse mit Traminer-Trester von Perenzin
Ziegenkäse mit Traminer-Trester von Perenzin

„Welche Käse kommen in Wien wohl am besten an?“, dürften sich die Standler der Fooditalia – der Messe für italienische Köstlichkeiten, die dieses Wochenende in der Messe Wien stattfindet – im Vorfeld gefragt und dann alle dieselbe Sorte eingepackt haben: Ubriachi. Diese „betrunkenen“ affinierten Käse werden zwischen 6 und 10 Tagen in gärendem Saft samt Schalen und Kernen zerquetschter Weintrauben gereift und nehmen neben der Farbe auch etwas Geschmack und Aroma der jeweiligen Traubensorte an. Der überlieferten Geschichte nach soll diese Art des Käseaffinierens ihren Ursprung im Krieg zwischen der italienischen und österreichisch-ungarischen Armee haben, während dem die Bauern ihre Käse unter Tresterhaufen versteckten, um sie vor den Soldaten zu verbergen.

Emanuela Perenzin mit ihren Käsen aus Treviso
Emanuela Perenzin mit ihren Käsen aus Treviso

Emanuela Perenzin reift ihre Käse aus Büffel-, Kuh- oder Ziegenmilch heute ganz bewusst mit dem Trester von Prosecco-, Traminer- oder Cabernet- und Merlottrauben. Davon gibt es in Venezien, wo die Latteria ihren Sitz hat schließlich reichlich. Problematischer sei es schon an biologische Milch, vor allem von Büffeln und Ziegen, zu kommen, erzählt die Italienerin und reicht mir ein Stück Capra Ubriaco al Prosecco Bio. Deshalb würden sie seit kurzem sogar österreichischen Bio-Ziegenmilch aus Oberösterreich importieren und einige Käse seien nicht immer in Bio-Qualität erhätlich. Rund 30 verschiedenen Käse werden in der familieneigenen Käserei unter anderem von Emanuelas Ehemann und Sohn hergestellt, im Käseshop verkauft und im hauseigenen Restaurant zu  kreativen Käsemenüs verarbeitet serviert. Sogar eine eigene Käse-Akademie nennt die Familie Perenzin ihr Eigen, in der sie einwöchige Kurse rund um die Käseherstellung abhält. „Morgens finden findet jeweils der praktische Teil statt, am Nachmittag gibt es dann Theorie.“ Ihren Bio-Robiola und Bio-Ricotta hatte sie zu meinem Bedauern in Wien leider nicht im Gepäck, dafür aber eine interessante Ubriaco-Variante mit Marzemino Passito DOP, einem Strohwein aus der roten Marzemino-Traube, die ehemals in Venetien weit verbreitet war. Der damit affinierte Käse schmeckt allerdings mehr nach dem Wein als nach Kuh- und Ziegenmilchkäse und eher nach Dessert als pikantem Snack.

Der als Trademark registrierte "Ubriaco" von
Der als Trademark registrierte „Ubriaco“ von Carpenedo

Der Herr am Stand von La Casearia Carpenedo ist nicht ganz so erfreut darüber, dass auch seine Kollegen uns Wiener als bekannte Weinliebhaber (oder Trunkenbolde) mit betrunkenen Käsen ködern wollen. Seine Firma, die selbst keine Käse herstellt, sondern sich ausschließlich der Affinage widmet, habe den Namen „Ubriaco“ schließlich eigens als Trademark registrieren lassen, aber alle anderen würden ihre Käse trotzdem als solche bezeichnen – auch die schlechten, wettert er. Was seine Mitbewerber jedoch nicht hätten, sei der Blu’61, ein – ebenfalls als Trademark registrierter – Blauschimmelkäse aus Kuhmilch, der mit Raboso Passito IGT Wein zusammen mit Cranberries gereift wird und mehr wie ein Cheesecake als ein Käse aussieht.

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Nationalpark-Käse von Latte Busche

Der junge Herr am Stand der Molkerei-Kooperative Latte Busche, den ich noch von einem Besuch in der Käserei in Belluno mit der Universität der Gastronomischen Wissenschaften kenne, hat dagegen gut lachen, Ubriachi sucht man an an seinem Tisch voller Kuhmilchkäsen, zum Teil aus dem Nationalpark Belluneser Dolomiten, vergebens.

 

Wesentlich hochprozentiger geht es am anderen Ende der Halle D der Wiener Messe am Stand des Bierspezialitäten-Importeurs Bierfracht.at zu. Dort schenkt mir Diplom-Biersommelier Clemens Kainradl feinste italienische Braukultur von vier unterschiedlichen Mikrobrauereien ein.

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Clemens Kainradl von Bierfracht.at

Die Etiketten auf den 0,3er und 0,75er Flaschen von Amacord fallen nicht nur mir, sondern auch den anderen Besuchern am Stand sofort auf. Kein Wunder, wurden sie doch von Milton Glaser, dem Designer des berühmten „I love NY“-Logos von 1976 designt, weiß Clemens zu berichten. Weniger gefällig finden manche das Riserva Speciale der Brauerei aus Rimini – mit Weichseln, Schlehe und Champagnerhefe kein Bier für jedermann, das mich wiederum an Reinhold Bartas Cerevinum denken lässt.

Biere von Amacord, Etiketten von Milton Glaser
Biere von Amacord, Etiketten von Milton Glaser

Die Italiener hätten vielleicht keine lange Brautradition, dafür aber eine umso längere Genusstradition, meint Clemens. Vielleicht mit ein Grund für die ungebremste Experimentierfreude und Ungezwungenheit, mit der sich die italienischen Braumeister an neue Kreationen wagen. Für das Suprema Ratio etwa verwendet das Birrificio Del Ducato nur eine Art Malz (das typische Ale-Malz Maris Otter) und nur eine Hopfensorte (amerikanischen Centennial Hopfen mit floralen und Zitrusnoten).

Ale for obsessed von Ducato
Ale for obsessed von Ducato

Beim AFO (Ale for Obsessed – genialer Name wie ich finde) dürfen hingegen über zehn verschiedene Hopfensorten mitmischen und bescheren dem Pale Ale eine ganze Aromenpalette von Zitrone und Bitterorange über Litschi bis hin zu Karamell. Was in der Nase als Tiki-Cocktail daherkommt, entpuppt sich Schluck für Schluck als relativ herb und erinnert mich mit seinem bitteren Abgang an Kastanienhonig. Zum Abschluss lasse ich mich noch von Bedda Matri aus dem Hause Toccalmatto noch mal so richtig in Italien-Stimmung bringen. Man könnte fast meinen, Ferrero hätte bei dem in Marsala Weinfässern aus Kastanienholz gereiften Barley Wine seine Finger im Spiel gehabt. Das Portweinartige Ale riecht und schmeckt nämlich wie die reinste Kombination aus Pocket Coffee und Mon Chérie. Nur gut, dass ich mich zuvor durch so viele Käse gekostet habe, sonst wäre ich von der Fooditalia womöglich noch als Ubriaca nach Hause getorkelt.

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Mehr Portwein als Bier, Bedda Matri mit 12% vol

Die Fooditalia findet übrigens noch das ganze Wochenende, am Samstag von 10 bis 20 Uhr und am Sonntag von 10 bis 18 Uhr in der Messe Wien statt. Italienischkenntnisse sind beim Plaudern mit den größtenteils italienischen Produzenten von Vorteil, Geduld was Verzögerungen oder Ausfälle im Rahmenprogramm angeht ebenfalls. Das Publikum ist gemischt und besteht aus Einkäufern und Konsumenten, wobei sich mancher Standler über die einen mehr als die anderen zu freuen scheint. Die Tageskarte kostet 29 Euro, dafür kann man sich drinnen aber ohne schlechtes Gewissen quer durchkosten, bevor man sein Portemonnaie zum Einkaufen zückt. Buon divertimento e buon appetito!