Eine „Backstraße“ nach Slow Food-Geschmack

Handsemmeln frisch aus dem Holzofen, Gragger & Cie
Handsemmeln frisch aus dem Holzofen, Gragger & Cie, © Sarah Krobath

„Das ist halt Handarbeit“, antwortet Bäckermeister Helmut Gragger fast ein wenig stolz dem Herren, der sich wundert, warum die Gragger’schen Semmeln kleiner und die Semmeln von Felzl, die gerade frisch duftend aus dem Holzofen kommen, dunkler sind. Die traditionelle Handsemmel, die bis vor gar nicht allzu langer Zeit noch die Regel war, wird heute immer mehr zur Ausnahme. „Im letzten Jahr sind in Österreich 300 Bäcker verschwunden“, bedauert Barbara Van Melle, Leiterin des Slow Food Conviviums Wien, und weist auf den zeitgleichen Umsatzanstieg der Bäckereibranche hin. Ein Umstand, den sie darauf zurückführt, dass die Kleinen den Großen zum Opfer fallen und die Menschen mehr günstigere industriell gefertigte Ware kaufen. Um das traditionelle Handwerk am Leben zu halten und zu zeigen, wie viel Geschick und Zeit es für eine echte Handsemmel braucht, hat Slow Food Wien die Meisterbäcker Helmut Gragger, Horst Felzl und Erich Kasses heute zum Backen in die Wiener City geholt.

semmel3Bei Backhandwerkern wie ihnen kostet eine Semmel im Schnitt 80 Cent, im Diskonthandel und in den einem inzwischen fast an jeder Ecke auflauernden Backshops läppische 15 Cent. Die Begründung bekommen die Passanten in der Kärntner Straße direkt vor Augen geführt: Jede Teigkugel wird einzeln zu einer Scheibe geklopft und danach gekonnt fünfmal eingeschlagen, bis eine hübsche Krone ihr Haupt ziert. Auf die komme es an, betonen die Bäcker.

gekonnt geschlagene Handsemmel, © Sarah Krobath
gekonnt geschlagene Handsemmel, © Sarah Krobath

Durch das Falten entstehe eine größere Oberfläche, die beim Backen mehr Röststoffe und einen besseren Geschmack entwickle. Bei industriellen Semmeln wird die Krone hingegen automatisch eingestanzt und fällt dadurch immer gleich und meist wesentlich flacher (= weniger knusprig) aus. Bei dem fleißigen Treiben bekommt man regelrecht Lust, selbst einmal bemehlte Hand anzulegen. Wie lange es wohl dauern würde, bis ich das Semmelschlagen beherrsche? Je nach persönlichem Geschick könne das zwischen einem und mehreren Monaten dauern, klärt Helmut Gragger uns auf. Umso wichtiger, dass das handwerkliche Wissen an Lehrlinge weitergegeben wird.

der mobile Holzofen ist aus Ansfelden angereist, © Sarah Krobath
der mobile Holzofen ist aus Ansfelden angereist, © Sarah Krobath

Der Holzbackofen, in dem laufend Bleche mit blassen Teiglingen verschwinden und wenig später mit mal zart, mal intensiv gebräunten Semmeln wieder auftauchen, ist in der Früh in Ansfelden bei Linz angefeuert und extra für die Aktion in den ersten Wiener Bezirk chauffiert worden. Für Gragger ist der Holzofen die idealste Art, um Brot und Gebäck zu backen. „Er speichert die Energie vom Feuer und gibt sie ans Gebäck ab. Diese Art von Hitze entzieht dem Brot keine Feuchtigkeit, sorgt für eine bessere Kruste und längere Haltbarkeit“.

Barbara van Melle mit Unterstützern vom SFYN Wien beim Semmelverkauf, © Sarah Krobath
Barbara van Melle mit Unterstützern vom SFYN Wien beim Semmelverkauf, © Sarah Krobath

Drei Stunden lang wird auf der Kärntner Straße mit der Unterstützung des Slow Food Youth Network Wien umringt von neugierigen Beobachtern, Kameralinsen und Mikrofonen geschlagen und gebacken und die reschen Unikate gehen weg wie, nun ja, die warmen Semmeln, die sie eben auch sind. Vom zackigen Tempo, das die Profis an den Tag legen, darf man sich aber nicht täuschen lassen – der zeitintensivste Teil einer Handsemmel beginnt nämlich lange vor dem Backen.

Handsemmeln von Kasses, © Sarah Krobath
Handsemmeln von Kasses, © Sarah Krobath

„Unsere Großväter haben eigentlich alles richtig gemacht“, findet Erich Kasses, der aktuell mit seinem Health Bread aus Mehl mit fermentiertem Vollkornkonzentrat von sich reden macht. Da man damals keine Backmittel gehabt habe, habe man Vorteige machen müssen, um die Enzymatik des Weizenkorns in Schwung zu bringen und man habe dem Produkt die nötige Zeit geschenkt – so wie es traditionelle Bäcker wie Gragger, Kasses und Felzl noch heute tun. Sie lassen den fermentierten Vorteig 24 Stunden rasten und gönnen ihren Semmeln eine lange Teigführung, bevor sie diese weitere zweieinhalb Stunden später knusprig gebacken aus dem Ofen holen. Die Brot- und Gebäcksvielfalt Österreichs, da sind sich alle drei Bäcker einig, gibt es auf der ganzen Welt kein zweites Mal. Damit das auch so bleibt, muss das kleine Bäckerhandwerk überleben. Dafür auf die Straße zu gehen, lohnt sich allemal.

Handsemmeln von Felzl, © Sarah Krobath
Handsemmeln von Felzl, © Sarah Krobath
Handsemmeln von Gragger, © Sarah Krobath
Handsemmeln von Gragger, © Sarah Krobath

No Comments

  • Ich war auch dort und neben mir ist eine Frau gestanden, die hat gemeint, das könne man sonst jemandem erzählen, dass die Semmeln vom Felzl Handsemmerln wäre, die wären viel zu gleichmäßig. Mein Gott, was bin ich froh, dass es überall solche Auskenner gibt … :p

    Hattest du einen Favoriten unter den Semmeln?

  • Oje, oje, zu gut darf man das Handwerk offenbar auch nicht beherrschen, wenn es nach manch einem geht 😉 Ich war von den kleinsten Exemplaren – den Gragger’schen – besonders angetan. So frisch und handwarm waren die einfach unvergleichlich. Wie lautet dein Resümee?

  • Hier leider ein verschnupfter Haushalt, daher nur eine haptische und optische Beurteilung, was jetzt nicht so der Bringer wäre für eine wirkliche Verkostung. Wir wiederholen das bei Gelegenheit.

  • Verstehe. Dann gibt’s eben ein andermal eine Handsemmelverkostung – vielleicht ja sogar mit weiteren Exemplaren 😉

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