Die Käseplatte, das verkannte Signature Dish

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Ziegen- und Wasserbüffelkäse von Robert Paget bei Jutta Ambrositsch, Buschenschank in Residence

Die Käseplatte ist das Stiefkind der Gastronomie. Wenn sie in der Speisekarte überhaupt namentlich erwähnt wird, findet man sie oft zwischen dekadente Desserts wie Crème Brûlée und warme Schokoladentarte gequetscht. Den Espresso danach sucht ja auch keiner unter Digestif neben Zirberl und Obstler! Womöglich ist das auch nur ein Test gewiefter Gastronomen, die darauf vertrauen, dass wer sich für gutes Essen begeistert, auch guten Käse zu schätzen weiß und dafür selbstredend auf flüssige Schokolava speiende Kuchenkrater pfeift. Ich vermute leider, dem ist nicht so. Neben der Zuordnung hapert es nämlich auch in der Zusammenstellung. Wer auf die Frage, welche Käse sich denn auf der nicht weiter beschriebenen Käseplatte befänden, „Verschiedene“ zur Antwort kriegt, sollte lieber schnell das Weite suchen und bei Bedarf seinen Frust vorher mit ein paar Löffeln Crème Brûlee runterschlucken. Meine Erkundigung nach der Herkunft der (r)affiniert arrangierten Käseschnitze am Frühstücksbuffet eines 4-Sterne-Hotels wurde einmal vom Service nach Rückfrage in der Küche überschwänglich mit „Aus dem Frischeparadies!“ beantwortet. Mit „Frische“ und „Paradies“ im Namen vereint, kann das doch nur eine lobenswerte Quelle sein, hat sich die junge Dame wohl gedacht. Zugegeben, ganz so schlimm sind die Stücke aus dem Gastro-Markt auch wieder nicht. Rohmilchkäse findet man in besagtem Paradies nur vereinzelt, was die paradiesische Fassade stark zum Bröckeln bringt, aber immerhin.

Dreierlei Käse serviert inklusive Beschreibung im Steirereck
Dreierlei Käse serviert inklusive Beschreibung im Steirereck

Wenn angesichts der unzähligen Käsesorten, die Käser aus der Milch unterschiedlicher Rassen in den verschiedensten Regionen der Welt hervorbringen, immerfort dieselben Hauptdarsteller wie Brie de Meaux, Comté, Munster, Parmigiano Reggiano und Roquefort auf die blank polierte Bühne gelassen werden, ist das trotzdem sehr schade. Während sich immer mehr Gastronomen mit Natural Wines, Orange Wines und dem einen oder anderen unorthodoxen Tropfen experimentierfreudig zeigen, scheinen sie sich in Sachen Käse nicht allzu weit aus dem Fenster bzw. in den Käsekeller lehnen zu wollen. Bei mancher als solche betitelten Käseselektion frage ich mich, ob blind und mit verbundenem Mund selektiert wurde, weil es auf dem Teller ebenso wenig Vielfalt und Geschmack zu entdecken gibt wie ein Konzept dahinter. Einige Lokale wären mit einem Modell à la Bring your own Cheese sicher besser beraten. Dabei muss man ja auch gar nicht alle guten Käse kennen, sondern lediglich wissen wo es sie gibt. In London ist es in der Gastronomie gang und gäbe, sich in die hygienebehandschuhten Hände der Experten eines renommierten Cheese Shops wie dem Androuet zu begeben und sich von diesen beim Zusammenstellen der eigenen Käseplatte beraten zu lassen. Das Kutschker 44 in Wien etwa lässt sich reglmäßig eine neue Auswahl an Käsen aus dem Sortiment von Irene Pöhls Käsestand am nur wenige Meter entfernten Kutschkermarkt zusammenstellen. (Am 4. Oktober feiert das Restaurant übrigens 10-jähriges Jubiläum mit allerhand Köstlichkeiten und einem gut bestückten Käsewagen.)

Kutschker44
Käseplatte mit Auswahl vom wenige Meter entfernten Pöhl’s Käsetand im Kutschker 44

Nichts liegt näher, als in der eigenen Region Ausschau nach schneeweißen bis goldgelben Schätzen zu halten und den Käseteller so wie die Menükarte an die jeweilige Saison anzupassen. Wer lässt sich in der warmen Jahreszeit nicht gerne von Ricotta, Burrata, Caciocavallo, Pecorino und Gorgonzola Dolce auf eine Reise durch Italien entführen? Wann sonst schmecken frische Ziegen- und Schafkäse so aromatisch wie im Frühjahr und Stichelton so himmlisch wie im Winter? Warum die Gäste im August nicht mit einem anderen Bergkäse überraschen als im Jänner und den Herbst mit einem nussigen Keen’s Cheddar, zerlaufendem Taleggio oder einer fein-herben Bergfichte einläuten? Seit meiner Zeit als Käsehändlerin in London durchleuchtet mein Blick ganz automatisch zuerst Gastraum, dann Speisekarte nach dem Käseangebot. Im Urlaub bestelle ich, wo ich kann, Käse und empfehle jedem, es mir gleichzutun. Auf die Art und Weise entdeckt man nämlich – vorausgesetzt man gerät an den richtigen Gastronomen – Kreationen, die sich in keiner Vitrine der von Touristen überlaufenen Feinkostläden blicken lassen, weil sie sich nur direkt vom Produzenten beziehen lassen.

Portugiesische Käsevielfalt am Käseteller bei Tapabento, Porto
Queijo de Azeitao DOP, Queijo Serra Curad u.a. am Käseteller bei Tapabento, Porto

Jeder hat seinen eigenen Maßstab für das Qualitätsbewusstsein eines Gastronomen. Für Nina ist es die Verwendung von echtem, frisch ausgepresstem Zitronensaft im Soda-Zitron, für mich hieß es lange Zeit „Wer das Brot nicht ehrt, ist den Hauptgang nicht wert„. Inzwischen orientiere ich mich bevorzugt an der Käseplatte, von der sich meiner Meinung nach allerhand über den Küchenchef ablesen lässt: Wo bezieht das Lokal seine Zutaten? Wird Wert auf Regionalität und Saisonalität gelegt? Spielt Bio bei der Rohstoffwahl eine übergeordnete Rolle? Schickt der Küchenmeister die erprobte Crème de la Crème aufs Spielfeld oder stellt er auf eigenes Risiko ein paar Newcomer und in der Käseliga noch unbekannte Talente auf? Gibt es ein klar definiertes Thema oder erzählt die Zusammenstellung gar eine Geschichte? Nun könnte man einwenden, hinter einer Käseplatte stecke keine große Kochkunst. Stimmt – aber die braucht es für René Redzepis vieg erühmte „die Henne und das Ei“ schließlich auch nicht. Eine Käseplatte als Signature Dish? Warum also nicht!

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  • Schön geschrieben und steckt viel Wahrheit drin, dass man an der Käseplatte so einiges über den Koch ableiten kann. Ich ess sehr gerne Käse, auch als Hauptspeise beim Heurigen bzw einer offenen Kellertür. Leider besteht das meistens aus langweiligem Schnittkäse und Obst. Da ging so viel mehr. Wenn ich einmal einen tollen Käseteller gefunden hab, dann fahren wir dort sicher immer wieder hin. Ein schönes Glas Wein dazu, mehr brauch ich nicht.

  • Dankesehr! Oh ja, das kenn ich. Bin selbst schon sehr oft von Käseplatten mit billigem Schnittkäse enttäuscht worden. Man möchte meinen, wenn Käse schon extra auf der Speisekarte angeführt ist, dann darf man auch Qualität erwarten, aber dem ist leider nicht immer so. Sag Bescheid, wenn du auf einen Käseteller mit Aha- und Mmmh-Effekt stößt. Ich freu mich immer über Tipps! Und ja, guter Käse, ein feines Glas Wein und vielleicht noch ein paar Oliven oder Nüsse – mehr braucht es wirklich nicht 🙂

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