Wo man wortwörtlich noch essen geht

Bild: © Sarah Krobath

Kaum einer geht heutzutage noch essen. „Wie bitte?“, werden sich jetzt einige wundern und ihre beachtlichen Ausgaben für Lokalbesuche in diesem Monat überschlagen. Die Liste an neueröffneten Restaurants ist lang und die Warteliste, um in den richtig guten davon einen Tisch zu bekommen, ebenso – Gäste dürfte die Gastronomie also mehr als genug haben. Gemeint ist auch nicht, dass niemand mehr außer Haus isst, sondern dass es immer seltener unsere Füße sind, die uns zum üppig gedeckten Tisch führen. Statt in ein Restaurant zu gehen, fährt man lieber mit dem Auto, gönnt sich ein Taxi oder nimmt für ein, zwei Stationen schon mal die U-Bahn – als könnten sich die auf dem Hinweg verbrannten Kalorien negativ auf der Rechnung niederschlagen. Dabei gibt es doch nichts Schöneres, als sich sein Mahl auf einem anstrengenden Marsch erst zu verdienen. Das Beste am Schulwandertag war nicht etwa das Gruppenfoto vor dem Gipfelkreuz, sondern der Proviant im Rucksack. Alleine der Gedanke daran hat in so manchem Trödelfritze den Reinhold Messner geweckt. Mit Gouda-Semmel, Banane und Trinkpackerl lockt man freilich keinen über Zehnjährigen hinter seinem vollgestopften Kühlschrank hervor – mit Heurigenspezialitäten, hausgemachten Mehlspeisen und gutem Wein schon eher. Das haben auch die Wiener Weinbauern erkannt und laden jedes Jahr Ende September ganz unter dem Motto „Das Jausnen ist des Wanderers Lust“ zum Wiener Weinwandertag. Drei Wanderrouten führen einen quer durch die Wiener Weinberge von einer Labestation zur nächsten, wo Liptauerbrot, Bergkäse mit Dirndlmarmelade, Zwetschgen-Mohn-Strudel und Kürbiscremesuppe dafür sorgen, dass sich der Hunger nach jedem zehnminütigen Fußmarsch von ganz alleine einstellt, vom Durst ganz zu schweigen. Für eine gemütliche Runde braucht man bei normaler Geh- und Ess-Geschwindigkeit etwa drei Stunden – es sei denn, man bemüht sich der Gerechtigkeit halber, bei wirklich jedem Winzerstand ein Achterl zu heben. Dann weiß man nämlich erst recht nicht, ob es wirklich die eigenen Beine waren, die einen ins Ziel getragen haben.