Wie man auf höchstem Niveau tief ins Glas schaut.

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Verkostungen sind schwer im Trend. Doch während man sich scheinbar endlos durch verschiedenste Obst- und Gemüseraritäten, Gewürz- und Käsesorten kosten kann, dauert es bei Degustationen von Alkoholika nicht lange, bis man an seine Grenzen stößt. Die ersten mit edlem Rebensaft gefüllten Gläser werden noch enthusiastisch geschwenkt, andächtig beschnuppert und wie der Zaubertrunk von Mirakulix in kleinen Schlucken genippt, ein paar Runden später ist der Wissensdurst gestillt und es wird einfach nur noch getrunken. Feine Noten wie „fruchtig“, „blumig“, „würzig“ oder „zitrusartig“ sind wie weggespült und spätestens ab dem vierten Glas schmeckt jeglicher Inhalt, unabhängig von seinem Preis, einzig und alleine nach Wein. Dass dabei neben dem eigenen Urteilsvermögen auch der Genussfaktor ganz schnell verwässert, haben meine Kollegen und ich bei unserem Besuch in Vinopolis, dem Londoner Wein- und Spirituosen-Mekka, am eigenen Leib erfahren. Die Herausforderung: Sechs Weine, zwei Sorten Rum, zwei Whiskeys, zwei Biere – die sich später als Ales entpuppen sollten – zwei Arten Absinth und obendrein noch drei Bombay Sapphire Cocktails verkosten. Anfängliche Bedenken und uns von unseren Eltern eingetrichterte Regeln à la „Bier auf Wein, lass es sein“ wurden sogleich mit einem italienischen Barolo und einem neuseeländischen Gewürztraminer hinuntergespült. Connaisseure, denen angesichts des Verkostungspensums das Wort „Ausspucken“ auf der Zunge brennt, seien an dieser Stelle über die Abwesenheit von jeglichen Spuckbehältern in diesem über einen Hektar großen Disney Land des Hochprozentigen informiert. Abgesehen davon verbinde ich die Kombination Trinken-Spülen-Spucken eher mit einer Zahnarztpraxis als mit einem Weinkeller. Bei einer Verkostung erfährt man nicht nur etwas über das konsumierte Produkt, sondern vor allem über sich selbst. Ich zum Beispiel weiß jetzt, dass ich jungen Whiskey genauso abstoßend finde wie lange gereiften, dass Engländer und ich vollkommen verschiedene Vorstellungen von Bier haben und, dass Rum – sei es auch der beste aus Jamaika – für mich immer ein Mischgetränk bleiben wird. Vor allem aber habe ich gelernt, dass der Grad zwischen Degustation und Trinkgelage ein schmaler ist und er sich am besten mit einer nahrhaften Unterlage beschreiten lässt. Ein paar spanische Oliven machen nämlich das Kraut nicht fett und den Alkohl nicht weniger wirksam. Vielleicht hätten wir das im Anschluss geplante Abendessen lieber vorziehen sollen – oder einfach unsere eigenen Trinkgefäße aus Amethyst einschleusen. Immerhin waren die alten Griechen der Überzeugung, die Rottöne von Wein (griechisch: méthy) und Stein würden sich gegenseitig und damit auch die alkoholisierende Wirkung aufheben. Aber Damenspitz hin oder her, unser einstimmiger Favorit unter den edlen Tropfen aus aller Welt war jedenfalls ein deutscher Riesling. Der “Reichsgraf von Kesselstatt Riesling Kabinett” ist abgesehen vom Londoner Vinopolis online über die Website des Weinguts erhältlich – für den Fall, dass ihn jemand verkosten oder einfach nur trinken möchte.