Die voranschreitende Carnisierung des Vegetabilen.

Bild von Ryan McGuire

Will heißen: Fleisch überall! Aber so einfach ist das nicht, denn die ganze Komplexität und Absurdität dieser beunruhigenden Entwicklung lässt sich alles andere als leicht verdauen. Und genau das versuche ich seit meinem letzten Urlaub in Istrien vergebens. Dass die Buffets vieler Hotels, was vegetarische Hauptgerichte angeht, noch auf dem Stand der Steinzeit sind, ist man als vielgereister Pflanzenesser ja gewohnt. In solchen Fällen macht man aus der Not eben eine Tugend, gabelt ein paar Nudeln auf, mischt ein wenig Gemüse hier mit etwas Getreide da und plündert das Salatbuffet – soweit der Plan. Beim Vorbeischlendern an der endlosen Schlange vor dem Grill kann ich mir eine Portion Schadenfreude nicht verkneifen. Ohne die ringsum brutzelnden Würste, triefenden Schnitzel und prasselnden Fische eines Blickes zu würdigen, steuere ich zielsicher auf das zu meiner Freude recht großflächige Salatbuffet zu. Ich will mir gerade eine ordentliche Ladung Nudelsalat auf den Teller hieven, als mich zwischen den in Mayonnaise getränkten Fusilli plötzlich etwas Rosarotes angafft. Schinken. Aber wer wird sich denn da gleich den Appetit verderben lassen, schließlich hat das Salatbuffet noch mehr zu bieten. Zum Beispiel Brokkoli-Zucchini-Salat mit – ist das etwa Speck? Oder einen bunten Mix aus Paprika, Tomaten und – wie bitte, gekochtem Rindfleisch? Das Rohkost-Desaster nimmt seinen Lauf: Erst lacht mich ein Fenchel-Orangensalat an, dann machen sich die zentimeterdicken Frankfurterstücke darin über mich lustig. Die Erbsen im Reissalat werden mengenmäßig von Wurstwürfeln ausgestochen und im Bohnensalat schwimmen mehr Thunfischstücke als Hülsenfrüchte. Von klassischen Beilagen ist man solch konspiratives Verhalten ja gewöhnt – Fisolen, die sich mit Speck verbünden, Tomatenragout, das zur Bolognese überläuft oder Kartoffelgratin, das neben Schinken immer öfter auch Salami deckt – aber zumindest auf die Loyalität des guten alten Salates konnte man sich bisweilen immer verlassen. Die paar Tomaten, Gurkenscheiben und lieblos zerrupften Kopfsalatblätter auf meinem Teller erzählen allerdings eine andere Geschichte – genau wie die Speisekarten vieler Gasthäuser. Auch wenn vor allem in Städten die Vegetarischen Restaurants gerade wie Schwammerl aus dem Boden schießen, scheinen sich einige Gastronomen Heinz Strunks Buchtitel „Fleisch ist mein Gemüse“ als Motto auf die Kochhaube gestickt zu haben. Vor allem in traditionellen Lokalen lässt einen oft schon ein einsames vegetarisches À la carte-Gericht jubeln, weil man dann nicht erst betteln muss, damit man die Kässpätzle ausnahmsweise und womöglich noch gegen Aufpreis ohne Speckwürfel bekommt. „Gemüse? Das ist doch keine Mahlzeit!“ scheinen viele immer noch gespeichert zu haben – wahrscheinlich in derselben Hirnschublade wie den Werbeslogan „Fleisch bringt’s!“. Eine Freundin von mir arbeitet in Wiens größtem vegetarischen Restaurant Yamm! und erklärt Erstbesuchern, die sich von dem wirklich eindrucksvollen Buffet hereinlocken lassen, das nicht sonderlich komplizierte System: Nur Vegetarisches, Selbstbedienung, Preis je nach Gewicht. Bis Punkt zwei und drei schafft sie es allerdings nur selten, da sich viele Besucher bereits von dem V-Wort in die Flucht schlagen lassen, weil sie lieber „was Gescheites“ essen. Fragt sich nur, ob ein ein paar Backhendlstreifen einen gemischten Salat wirklich so viel gescheiter machen als zum Beispiel ein paar Kichererbsenbällchen?

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  • gut gebrüllt! dass die leute beim yamm, wenn sie schon mal drinstehen, deswegen wieder umdrehen, irritiert mich. ich hätte gedacht (gehofft), über diese phase wären wir hinweg.

  • Man muss sich wirklich wundern. Vielen scheint das Buffetangebot auf den ersten Blick wirklich zuzusagen, bis sie dann erfahren, dass sich unter der Panade leider doch kein Schwein und im Sugo kein Faschiertes versteckt. Schade – vor allem auch für die Verweigerer selbst.

  • Dodln.

    Hab beschlossen, dass ich mich erst einmal vegetarisch ernähren werde, auch wenn mir Fleisch schmeckt. Nach der Lektüre von „Tiere essen“ ist es mir aber vergangen, vorerst zumindest.

    Am Wochenende war ich auf einem Seminar. Nicht nur, dass das Buffet abends aus ca. 75% Fleisch bestand, nein, das Gemüse bestand auch fast nur aus Kartoffelgerichten und diesem gemischten Gemüse (Karotten, Erbsen, Mais, kennst dich aus?). Bah. Oh, und eine laktosefreie Nachspeise zu produzieren, stellte die ausgebildeten Köche vor ausgewachsene Probleme, bis ich selbst zum Supermarkt gegangen bin und eine Packung Sojamilch besorgt habe. O_O

    Man könnte so toll vegetarisch kochen, wenn man nur wollte. Nur wollen halt viele nicht, ist ja auch viel einfacher, wenn man nichts ändern muss, und man immer das kochen kann, was es schon „immer geben“ hat…

  • „Tiere essen“ hat auch bei mir gewirkt. Wenn man erst mal über manche Dinge Bescheid weiß, kann man sie einfach nicht mehr ignorieren.
    Kartoffeln kriegen die meisten hin – allerdings haben sie es in unserem Hotel geschafft, sogar unters Püree so feine Speckstückchen zu mischen, dass man sie nicht einmal herausfischen konnte. Manchmal frage ich mich wirklich, was man in den Kochschulen heutzutage so lernt. Die Buchläden sind schließlich voll mit vegetarischen Kochbüchern, vom Internet ganz zu schweigen.

  • Das wär viel zu viel Aufwand, sich mit etwas Neuem beschäftigen zu müssen. (Der Gipfel an Irrsinn war übrigens einst eine klare Rindsuppe für einen strikten Veganer. Zitat: „Ist eh kein Fleisch drin!“ Da würde man gerne das hier machen – oder zumindest ein paar lustige Mönche dafür engagieren: http://www.youtube.com/watch?v=YgYEuJ5u1K0)

  • Ich sags gleich: ich bin kein Vegetarier – aber ich ess Fleisch nur reduziert und dann bewusst. Als ich das erste mal im Yamm war und so begrüßt wurde bin ich wieder gegangen. Aber keinesfalls wegen „vegetarisch“ sondern weil ich kein Freund von Buffet bin und „nach Gewicht Bezahlung“ oft bei teuren Speisen. Im Nachhinein hätt ichs einfach ausprobieren sollen, das nächste Mal dann.

  • Das kann ich verstehen. Bin selbst kein Freund von Buffets, bei denen man nach Tellergewicht bezahlt. Ob das Preis-Leistungs-Verhältnis für einen stimmt, muss aber jeder für sich entscheiden. Wenn die vegetarische Küche mehr kostet als die fleischhaltige, dann sollte man sich nicht automatisch über die teuren Gemüsegerichte, sondern vor allem über das billige Fleisch auf mancher Speisekarte wundern.
    Viel Spaß beim Durchkosten durchs Yamm Buffet!

    Liebe Grüße,
    Sarah

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