Eine Frage der Essthetik.

Bild: © Sarah Krobath
Bild: © Sarah Krobath

Könnte es sein, dass der Großteil der Foodblogger schwerstens koffeinsüchtig ist? Hat Red Bull von Extremsportlern jetzt auf Foodblogger umdisponiert und eine langfristige Sponsoring Aktion gestartet, von der ich nichts mitbekommen hab? Oder warum sehen Fotos von hausgemachten Köstlichkeiten zunehmend so aus, als wären die Foodstylisten an Parkinson erkrankt? Hier kullern mehr Granatapfelkerne auf dem Geschirrhangerl herum als wahrscheinlich im  Smoothie gelandet sind, dort wurde ein ganzer Granola-Behälter quer übers Tischtuch gekippt – mit voller Absicht. Und manchmal muss sich sogar ein ganzes Küchlein zerkrümeln, um als Deko auf einer Holzplatte herzuhalten. Vielleicht startet Tastespotting ja demnächst den Ableger Tastespilling – die Galerie wäre sofort rand-, ach was, zum Überlaufen voll. Die Foodfotografie ist heute „wieder bei der Bescheuertheit der 80er Jahre angekommen“, motzte die Kaltmamsell zu Beginn des Jahres auf ihrem Blog und nicht nur sie wünscht sich endlich etwas Neues.

Gilt man überhaupt noch als Foodblogger, wenn man keine Mindestanzahl an Bröseln auf der Tischplatte oder eine Altkleiderwarensammlung an Geschirrtüchern zum Drapieren vorzuweisen hat? Wenn es nach David Leibovitz geht, dann ja – er hat es einmal so erklärt: „To be a food blog (or writer) doesn’t mean you have to just recount recipes; often it’s the stories associated with cooking, shopping, or feeding others that are richer than lists of ingredients and putting together a batch of chocolate chip cookies.“ Und obwohl auch er zu dem Schluss kommt, dass die Menschen heutzutage „sehr, sehr visuell orientiert“ sind, empfiehlt er schließlich: „Don’t let the props overwhelm the food.“ Tatsache ist, auf Foodblogs ohne Fotos stößt man ungefähr genauso selten wie in kulinarischer Wildbahn auf Foodblogger ohne Kamera. Und ein komplettes Kochbuch ganz ohne Bilder herauszubringen, da traut sich wohl selbst der mutigste Verlag nicht drüber – Illustrationen sind doch das Mindeste! Dabei lassen sich Gerichte so lebhaft beschreiben, dass du sie nicht nur vor deinem geistigen Auge siehst, sondern sie geradewegs zu riechen, spüren und zu schmecken glaubst. Erotikromane kommen schließlich auch ganz ohne Abbildungen aus – warum sollte das nicht genauso gut bei Food Porn funktionieren? Die Gegenbewegung zu romantischen, überkandidelten Bildern, bei denen Kontrast und Licht bis zum Anschlag hochgekurbelt wurden, folgt – wir kennen das aus der Kunstgeschichte – auf dem Fuße. Dimly Lit Meals For One ist nichts  beschönigender, auf nüchternen Magen fast schon zu ehrlicher Realismus pur. „Heartbreaking tales of when homecooking goes wrong and other musings on food“ lautet der Claim des Foodblogs, der von echten Menschen verbrannte, verkochte und in jedem Fall verschandelte Gerichte mit viel Humor zu Tage fördert. Zusammen mit zwei anderen „Grotty Food Photo Blogs“ ist er als Favorit auf der Observer Food Monthly Liste auf Platz 44 gelandet.

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Zwar nicht gegen Fotos aber ganz bewusst gegen Rezepte haben sich Lotta und Per-Anders Jorgensen bei ihrem FOOL Magazin entschieden – „in der italienischen Vogue findet man schließlich auch keine Schnittmuster“. Die beiden sehen die aktuelle Entwicklung ebenso realistisch wie gelassen: „Essensschnappschüsse bekommen auf Instagram nun mal mehr Likes als großartige Foodfotografie.“ Aber darum geht es dem sympathischen Herausgeber- und Ehepaar, das ich beim ersten Coolinary Talk kennenlernen durfte, auch gar nicht. Sie haben sich mit ihrem themenbasierten Magazin ein Herzensprojekt erfüllt und möchten darin nicht bloß die Geschichten von Chefköchen erzählen, sondern auch den restlichen Menschen hinter großartigem Essen eine Bühne bieten. Wenn das ihrer Meinung nach wie bei der Geschichte über Magnus Nilsson mit einer 24-seitigen Bildstrecke in Schwarz-Weiß oder sechs Seiten mit Enten-Portraits am besten funktioniert, werden diese auch so gedruckt. Genauso wie die beinahe komplett schwarze Doppelseite mit dem Titel September moonlight over Pantelleria in der aktuellen Italien-Ausgabe, deren Illustrationen im Übrigen (bis auf eine Ausnahme) ausschließlich aus italienischen Handgelenken geschüttelt worden sind. „Gastronomy needs to be taken seriously but with humor“, sind Lotta und Per-Anders überzeugt ­– ein Credo, das sich auch gut auf Foodfotografie umlegen ließe.

7 Comments

  • Ich habe den Artikel der Kaltmamsell auch gelesen und habe mich auch gefragt, was das soll. Sollte bei Foodfotografie nicht die Essbarkeit des Essens im Vordergrund stehen – oder bin ich jetzt schon komplett deppat? Und wenn man Granola oder Granatapfelkerne verstreut – isst man die nachher noch oder wird nach dem Foto alles in die Tonne gekloppt, um es schön deutsch auszudrücken?

    Auch aufgefallen ist mir, dass einige bekannte deutsche BloggerInnen diesem Trend jetzt auch schon verfallen sind. Zu Beginn noch ganz normale Fotos – und dann drehen sie durch und es wird immer übler mit all den Geschirrtüchern, Strohhalmen, Masking Tapes, Tellerchen und Gäbelchen vom Flohmarkt. Wo stapeln die das ganze Zeug, frag ich mich? Meine Wohnung ist dafür zu klein.

    Liebe Grüße
    Nadja

    P.S.: Pro Tastespilling – vielleicht braucht die Welt einen Tumblr zum Thema? 😉

  • In die Tonne kommt die essbare und höchstwahrscheinlich köstliche Deko hoffentlich nicht – vielleicht aber zu den Hangerln, Strohhalmen und Masking Tapes ins zusätzlich zum Fotostudio extra angemietete Lager 😉 Tastespilling Tumblr -> Feel free to start it!

  • Also ich habe keine Zeit für so ein Zeugs 😉 Ich möchte Bilder, die mir das Gefühl geben, ich könnte das auch so hinbekommen. Hier ist schön das Ergebnis zwischen stundenlangem Foodstyling und dem tatsächlichen Ergebnis auf dem Teller zu sehen. Ich bin für die Wirklichkeit

  • Liebe Ulrike, ich auch nicht 😉 Bilder können eine gute Hilfestellung sein, wenn einem beim wiederholten Durchlesen des Rezeptes noch immer nicht klar ist, was denn nun genau dabei rauskommen soll – vorausgesetzt natürlich, sie ähneln dem tatsächlichen Resultat. Danke für den Link zu dem anschaulichen Beispiel!

  • Danke Sarah! Ganz meine Rede!

    Ich fotographiere am liebsten auf genau der gleichen weißen Serviette – und das ganz unprätentiös, denn professionelle Fotographie mach ich halt einfach nicht. Aber hoffentlich köstliche Gerichte 😉

  • So eine Serviette kann ja auch zum Markenzeichen eines Blogs werden 😉 Was die köstlichen Gerichte angeht, bin ich dafür, mehr Zeit aufs Kochen und Genießen und weniger aufs Foodstylen zu verwenden. Wer in Sachen Foodfotografie ein glückliches Händchen hat oder das einfach leidenschaftlich gerne macht, soll aber natürlich werkeln so viel und so lange er will.

  • Vielen Dank für den Post, ich habe mich gleich angesprochen gefühlt. Es gibt so tolle Foodblogs, aber Beachtung bekommen doch wirklich nur die, die die professionellsten Bilder präsentieren, da kann ich mich leider nicht zu zählen und bin dann nur „Unterste Schublade“ oder „Mittelklasse“ 🙁 Solche Einfälle und das nötige Händchen fehlen mir dann doch zu den Fotos^^

    Trotzdem freue ich mich über jeden einzelnen Leser und Kommentar, da das Bloggen mein großes Herzblut ist und ich es mit Leidenschaft mache, so wie auch das Kochen und Backen^^

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