Das Gastrovoren-Dilemma

© Marije Vogelzang – "sharing dinner", marijevogelzang.nl
© Marije Vogelzang – „sharing dinner“, marijevogelzang.nl

Roland Trettl und Marije Vogelzang haben sich die Schuhe ausgezogen. Ein Zeichen dafür wie wohl sie sich auf der Bühne des Culinary Art Kulinarik-Kongresses fühlen, auf der sie am 17. März zusammen mit Geruchsforscherin Sissel Tolaas, Metzger Jack O’Shea, Hotelier Florian Weitzer und Designer Oliver Bischoff unter der Moderation von Michael Kerbler die Elemente eines gelungenen Restaurantbesuchs diskutierten. Wären wir auf Sri Lanka säßen sie womöglich nur in Schlafanzug und Nachthemd da. „Dort gehen die Menschen in ihren Pyjamas auswärts essen, damit sie sich beim Restaurantbesuch möglichst entspannt fühlen“, erklärt die niederländische Eat-Designerin. Ich stelle mir vor wie ich im Steirereck die Serviette sorgfältig über meiner blau-rot-karierten Lieblingspyjamahose glattstreiche. In Wien ist man in dem Aufzug wahrscheinlich nicht mal am Würstelstand gern gesehen und wird verdächtigt aus einer dieser Einrichtungen ausgebüchst zu sein, in denen breibraunes Essen auf farblich abgestimmten Plastiktabletts aufgetragen wird.

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Marije Vogelzang und Roland Trettl ohne Schuhe, © Sarah Krobath

Ob im Pyjama, Bademantel oder ausnahmsweise mal ohne Sakko und Krawatte, in den meisten Restaurants wird von der ideal regulierten Raumtemperatur bis hin zum penibel austarierten Licht alles dafür getan, dass sich der Gast wie zuhause fühlt. Die Frage ist, will er das denn überhaupt? Wenn meine Mama früher mit mir in ein Lokal ging, dann um sich einmal nicht wie zuhause zu fühlen, wo der Herd als zweiter Arbeitsplatz auf sie als berufstätige Mutter wartete. Essengehen war für sie gleichbedeutend mit Nichtdaheimsein, Nichtkochen, Nichtabwaschen. Wenn schon wie zuhause fühlen, dann wie bei Freunden zuhause. Dort wird sich in vertrauter Umgebung gut um einen gekümmert. Gelingt das einem Lokal, ist von Gastfreundschaft die Rede. „Ein Besuch in meinem Steakhouse ist im Grunde wie ein BBQ bei mir daheim, mal abgesehen davon, dass es etwas teurer ist“, erzählt Star-Metzger Jack O’Shea, der seine Schuhe am Podium anbehalten hat. Für ihn sei es besonders wichtig, dass seine Persönlichkeit in seinem neuen Restaurant für die Gäste spürbar ist. Der kritische Faktor zum Erfolg ist für ihn die Kompetenz der Servicekräfte, mit der er auch in seinem eigenen Lokal „frequently disappointed“ ist, wie er sagt. Roland Trettl pflichtet ihm bei und klagt darüber, dass er zwar das Licht einstellen könne, der Mitarbeiter aber immer das am schwierigsten beeinflussbare Element bleibe. „Jede nette Kellnerin, die lächelt, darf mir die Flasche Wein über die Hose schütten“, betont er. Zu aufdringliche Kellner & Sommeliers würden dagegen dem besten Essen schaden.

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Florian Weitzer, Christoph Bischoff, Jack O’Shea, Michael Kerbler, Marije Vogelzang @ Culinary Art 2015 © Sarah Krobath

Geht es nach Marije, sind gutes Essen und Gastfreundschaft längst nicht mehr genug, sie stellt auch infrage, ob es für ein Restaurant überhaupt vier Wände braucht. „Der Gast erwartet sich überrascht und herausgefordert zu werden!“ Überraschung? Das klingt nach Schluckaufbekämpfung, Texturtricks aus dem Molekularküchen-Zauberkasten und einem mit lebenden Singdrosseln gefüllten Eber wie aus dem Satyricon des Petronius. Herausgefordert fühlt man sich dagegen bestimmt von einem 10-Gänge-Menü aus Überraschungen, einem 50-teiligen Gedeck oder der Anweisung des Servicepersonals, das nächste Gericht mit verbundenen Augen und ohne Hände zu verzehren.

Ob damit wohl auch die Stammgäste zu ködern sind, die in ihrem Lieblingslokal ihren Stammtisch haben und immer wieder ohne einen Blick in die neue Speisekarte ihr Lieblingsgericht ordern? Wenn sie es überhaupt noch können, wo doch immer häufiger – Überraschung! – nur ein fixes durchdekliniertes Menü angeboten wird, anhand dessen der Gast – Herausforderung! – die Philosophie des Küchenchefs verinnerlichen soll. Im Grunde deckt sich die Checklist eines Restaurants heute mit der einer englischen Braut: Zunächst braucht es etwas Altes – ein nostalgisches Gericht, das im Gast Kindheitserinnerungen weckt, oder eine seit jeher in der Region verwurzelte Zutat. Dann etwas Neues –  eine innovative Technik etwa, eine ungewöhnliche Kombination oder Neuinterpretation. Dazu etwas Geliehenes – zum Beispiel aus einer anderen Kultur, am besten einer, die gerade im Kommen ist versteht sich. Und zum Schluss noch etwas Blaues, was wirklich keiner erwartet.

© Claudia Braunstein, Geschmeidige Köstlichkeiten
Dinner Performance von honey & bunny © Claudia Braunstein, Geschmeidige Köstlichkeiten

Mehr von der Culinary Art:

Lisa von Finespitz hat die Diskussion rund ums Thema Regionalität hier auf ihrem Blog zusammengefasst.

Wie Claudia von Geschmeidige Köstlichkeiten die Culinary Art erlebt hat, gibt’s hier auf Fisch + Fleisch nachzulesen.

8 Comments

  • sehr schön geschrieben. du brauchst endlich so share-buttons für fb/twitter!
    (und: ich will vor allem nicht, dass die ANDEREN ihre schuhe bei tisch ausziehen – genau so wie ich nix gegen ein striktes parfumverbot beim essen hätte … ;-))

  • Danke, liebe Katharina! Ist zur Kenntnis genommen – ich werd mich um die Buttons kümmern! Oh ja, Parfumverbot wäre gut, im Restaurant wie in der Weinbar. Pyjama ohne Parfum, dafür mit Schuhen wäre also denkbar 😉

  • Ich persönlich fände es nicht so super, wenn in Spitzenrestaurants alle im Pyjama abhängen (Atmosphäre!). Es gibt ja auch ästhetischere Kleidung in der man sich wohl fühlt 😉
    Da ich selbst viel koche, geh ich auch am liebsten in Lokale, die mich überraschen und wo ich Dinge zu essen bekomme, die ich selbst so nicht mache/kann. Und den Trend hin zum Menü finde ich sowieso super, ein guter Koch ist immerhin derjenige, der am besten weiß, was zusammenpasst und schmeckt und mir dann etwas serviert, worauf ich vielleicht selbst nicht gekommen wäre. Das ist für mich ein ganz wesentlicher Aspekt am Restaurantbesuch.

    Danke für die Zusammenfassung und den Link :* Hab deinen Beitrag auch gleich bei mir ergänzt!

  • Danke, Lisa! Ja Pyjama ist natürlich übertrieben, aber ohne Dresscode find ich schon ganz gut – auch im Fine Dining Bereich. Ich persönlich lern die Handschrift eines Kochs auch gern durch ein konzipiertes Menü kennen. Trotzdem hab ich gern die Wahl, ob ich nur ein Gericht, wenige Gänge oder das komplette Menü esse. Genuss hat für mich mehr mit Entspannung und positiven Überraschungen als mit Herausforderungen zu tun. Außer ich geh ganz bewusst in eine Eat Performance.

  • Liebe Sarah, spät aber doch bin ich jetzt auf deinen Beitrag gestossen. Danke für die nette Erwähnung. Liebe Grüße Claudia

  • Gerne, Claudia! Hat mich gefreut, dass wir uns in deiner Heimat getroffen haben 🙂 Lieber Gruß, Sarah

  • Meiner Meinung ist der Service eines der wichtigsten Erfolgsfaktoren im Lokal. Wenn irgendetwas mal schief läuft, muss der Service dafür sorgen, dass wieder alles gerade gerückt wird. Wird der Gast dann zufrieden gestellt, schadet es dem Restaurant nicht wirklich.
    Genauso kann die Servicekraft aber auch sehr viel kaputt machen. Ist der Service schlecht, gehe ich dort nicht mehr hin. In (zum Glück) seltenen Fällen hat man wirklich den Eindruck, dass man als Gast ein richtiger Störfaktor ist – und wo ich nicht willkommen bin, gehe ich auch nicht mehr hin. Es gibt ja genug Konkurrenz, die sich über einen Besuch freuen 🙂

  • Lieber Frank, das sehe ich ganz genauso. Guter Service sollte in jeder Situation gefasst reagieren, den Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen und gleichzeitig mit der Dramaturgie des Auftragens von Speisen und Getränken nicht zu viel vom Abend vereinnahmen. Die (meisten) Gäste kommen schließlich nicht wegen des Schauspiels, sondern des Essens wegen – auch wenn die Gerichte im Fine Dining Bereich zunehmend zu Spektakeln werden. Eine Servicekraft, die genervt reagiert, wenn Gäste eintreffen, geht natürlich ganz und gar nicht! Da hat man den Job verfehlt. Aber wie du sagst – die Retourkutsche folgt dann auf dem Fuße, wenn der Gast künftig anderswo reserviert. Lieber Gruß, Sarah

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