Stell dich nicht so an und stell dich halt an!

Foodies bei ihrer Hauptbeschäftigung: Schlangestehen © Sarah Krobath
Foodies bei ihrer Hauptbeschäftigung: Schlangestehen © Sarah Krobath

Eis erspäht man auf den Bildern vom ersten Vienna Ice Cream Festival eher selten. Kruste und Krume waren beim gleichnamigen Slow Food-Event auf den ersten Blick in die Markterei nicht auszumachen und bei den meisten Street Food Festivals ist weder von der Straße, noch vom Essen etwas zu sehen. Was man sieht, sind laaange Schlangen. Aber fürs Essen anstellen? Sicher nicht! Oder gerade dafür? Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir uns nicht für Rationen anstellen müssen, aber wir können’s!

Während manch einer überzeugt ist, „anstellen“ müsse von „Anstalt“ kommen, weil man wirklich verrückt sein muss, um das freiwillig mitzumachen, scheinen andere die geborenen Schlangenmenschen zu sein. Wenn H&M, Topshop und Co die neue Basse Couture Kollektion eines Sternchen-Designers präsentieren oder Kalifornien die nächste apfelige Innovation auf den Markt wirft, wird Anstellen schließlich auch als Extremsport praktiziert. Da die köstlichen Must-eats verglichen damit regelechte Schnäppchen sind, potenziert sich die Zahl der Mitansteller freilich um ein Vielfaches. Bloß halten selbst die schleißigsten Modefetzen im Durchschnitt länger als 10 Minuten. Zwei Stunden Zweierreihe für zwei Minuten Eisschlecken? Oder Sandwichmampfen? Oder Kekskrümeln? Irgendwie unverhältnismäßig. Es sei denn, man lässt anstellen.

Wer sich nicht selbst die Füße beim in den Bauch Stehen schmutzig machen möchte, engagiert am besten einen sogenannten Professional Line Waiter oder Line Sitter, wie man sie in den USA buchen kann. Bei 25 Dollar pro Stunde und extra 10$ für jede weitere halbe Stunde verdienen die im wahrsten Sinne des Wortes selbstständigen Angestellten beim Warten auf dein iPhone oder deinen Rainbow Bagel gut 1.000 Euro die Woche. Über den Instagram-Account von @sold_inc kann man die Same Ole Line Dudes von New York übrigens auf ihrer Mission „We wait for your wants“ beobachten – für alle, denen Darts im Fernsehen einfach nicht mehr den gewünschten Kick gibt.

32 ppl in line at 7:50am @dominiqueansel #cronut line We were 1st for another @kimpton #eventi delivery #linedudes #linesitters

Ein von Same Ole Line Dudes, LLC (@sold_inc) gepostetes Foto am

Anders als bei Konzerttickets, für die ja sogar vor den Verkaufsstellen campiert wird, hat beim Essen der eigene Gusto auch noch ein Wörtchen mitzureden. Wie soll ich beim Einreihen um 11 Uhr wissen, worauf ich um 13 Uhr, wenn ich dann an der Reihe bin, Lust haben werde? Oft sieht man das Licht am Ende der Schlange ja gar nicht. Aber wenn so viele bereit sind, darauf zu warten, muss es ja was Feines sein, oder? Stell dir vor, du kommst dehydriert, kurz vorm Blasensprung und mit frisch gebackenem Sonnenbrand gerade noch rechtzeitig, bevor du den mundgerechten Chihuahua hinter dir verspeist, endlich dran – dein ersehntes Gourmet Zebra-Hot Dog mit triple-fried Onions, Homemade Ketchup, Homefried Bacon, Homepickled Pickles, in der Homerolled Roll zum Greifen nahe – und der Truck-Steward fragt dich: „Welches Topping darf’s zur Ofenkartoffel sein?“. Gnade dem armen Kerl Gott. Und erst dem Chihuahua.

Die Lösung? Mehr Personal? Mehr den Marktplatz belebende Konkurrenz? Eine Zombieapokalypse mit dir und den Foodtruckern als einzige Überlebende? Vielleicht bloß was, das die Wartezeit verkürzt. Bei der Pizzeria Franco Manca im Londoner Brixton bekommen die Wartenden zumindest schon mal eine Speisekarte zum Schmökern gereicht. Bei Dominique Ansel in New York werden gar kühle Erfrischungen und im Winter Tee und Decken an die armen Obdach-, äh, Cronutlosen verteilt. Wenn es aber etwas gibt, das nirgends besser geht als in einer Schlange, dann Raunzen – ist ja auch wirklich unzumutbar, wozu man hier regelrecht genötigt wird! Ein Wunder, dass solche Events nicht längst zum Hauptjagdgebiet der Promotoren-Agenturen auserkoren wurden. Die Opfer, pardon, Konsumenten können da, anders als auf der Mariahilferstraße, nämlich nicht weg! Viel zu schade, den so hartnäckig verteidigten Platz aufzugeben. 

Lines for days #wrapstars #viennafoodfestival

Ein von holly. (@hoharr) gepostetes Foto am

In dem Moment, wo du schließlich das Objekt deiner Begierde in deinen vor Aufregung und Unterzucker zitternden Händen hältst, schlägt die Kognitive Dissonanz mit vollem Karacho zu. Einerseits soll das Essen besser gut sein, wo du doch wertvolle Zeit, in der du wer weiß wieviele Pokémons hättest fangen können, dafür geopfert hast. Andererseits sind Erwartungen schwer zu erfüllen, wenn man ihnen einmal genug Gelegenheit gegeben hat, proportional zu den eigenen Beinen utopisch anzuschwellen. Und schauen die erfolgreichen Schlangenabgänger vom Stand gegenüber nicht ein klein wenig zufriedener mit ihrer Beute aus? So oder so sind die beschürzten und behandschuhten Ladies und Gentlemen hinter dem Tresen am längeren Hebel – und nicht nur dem des Senfspenders. Wer einmal mehr als 30 Minuten gewartet hat, um Geld im Wert eines kleinen Wochenendeinkaufs für einen lauwarmen, schnell zusammengeschusterten, in ein Papierstanitzel gestopften Happen auf den Kopf zu hauen, würde nämlich NIEMALS zugeben, dass die ganze Anstellerei letztendlich für die Katz war. Zumindest war man an der frischen Luft, hat dabei rund 80 Kalorien in der Stunde verbraucht und allen auf Instagram gezeigt „Ich war dabei!“. Also, stell dich das nächste Mal nicht so an und stell dich halt an!

There’s one in Warren Street guys…… #francomancabrixton

Ein von Rebecca Koczan (@rebbyrebz) gepostetes Foto am