
„Nicht ausspucken!“, stößt Vicente bestürzt aus und der Mann mit der Machete neben ihm sieht mich ebenfalls entgeistert an, als ich die frische weiße Kakaobohne nach ausgiebigem Lutschen und Aufsaugen des tropisch-fruchtigen Aromas auf den Boden des Kakaowaldes spucke. Oh Gott, habe ich den Manager von Camino Verde jetzt beleidigt? Hätten sie die vom Fruchtfleisch befreite Bohne etwa noch weiterverwenden wollen? Aber nein, beruhigt mich Übersetzer Christian . Hier wachse Kakao lediglich außergewöhnlich gut, so dass man richtig aufpassen müsse, dass nicht irgendwo ein ungeplanter Kakaobaum aus dem Boden schießt und die Ordnung im Wald durcheinander bringt.

Ordnung ist auf der Plantage von Vicente Norero in Balao ungemein wichtig. Die Bäume in seinem „Labor“, wie er die 5 Hektar große Fläche abseits der restlichen schier endlosen Plantage nennt, auf der er Kakaobäume ausschließlich zum Studieren anbaut, sind in alle Windrichtungen komplett linear ausgerichtet. Das sorge nicht nur für eine bessere Sonneneinstrahlung und einen guten Luftzug, der es Schädlingen ungemütlich mache, sondern auch für eine konkrete Ernte, weil die Plantage Bahn für Bahn abgegangen werden kann. „Agua, Frutta, Tierra“, fasst Vicente kurz zusammen, worauf es beim Kakaoanbau vor allem ankommt. Von diesen drei sei Wasser das wertvollste Gut, betont er. Auf der „Labor-Plantage“ testet Camino Verde aktuell zwei Bewässerungssysteme – ein Sprühsystem zum ungefähren Preis von 3$ und ein Schlagsystem, das sich um 1$ auch kleine Kakaobauern leisten können. Die Zusammenarbeit mit letzteren ist Vicente besonders wichtig. Im Rahmen eines Sozialprojektes bilden sie Kleinbauern aus, kaufen ihnen ihren Kakao anschließend ab und vertreiben ihn unter einer eigenen Kategorie neben ihrem eigenen weiter. „Letztens wollte ein Bauer statt Geld für seine Bohnen lieber weitere Pflanzen und Dünger, um seinen Anbau zu vergrößern“, berichtet Vicente. Überall am Gelände ragen Teststutzen aus dem Boden. Diese sogenannten Zeugen, messen die Wasserversorgung und Düngung der Erde. Auch die Bewegung der Schwermetalle ließe sich mit ihrer Hilfe untersuchen. Anhand der daraus gewonnenen Erkenntnisse können die Düngerhersteller neue natürliche Dünger herstellen, die mindestens genauso gut funktionieren wie Chemikalien, so Vicente.

Kevin, Sylvia, Christian, Vicente und ich steigen in den Bus und kommen nach 20 Minuten Fahrt – alles innerhalb des Geländes von Camino Verde – bei einem Grundstück mit der Kennzeichnung „Lote 7 B1“ an. Das Unternehmen hat alle Anbauflächen penibel nach Nummer, Fruchtsorte und deren Geschmack klassifiziert und gekennzeichnet. Bei „B7“ handle es sich um besonders fruchtigen Kakao wie wir bald feststellen.

„Woraus besteht eigentlich Kakao?“, wendet Vicente die Frage an uns. In meinem Kopf geistern verschiedene Antwortmöglichkeiten aus der Schokolade-Prüfung – übrigens meine erste an der Universität der Gastronomischen Wissenschaften – herum: Samen, Fruchtfleisch und Schale? Feststoffe und Kakaobutter? Theobromin? Vincente bemerkt unsere ahnungslosen Blicke und erlöst uns schließlich. Der rohe Kakao sei besonders reich an Magnesium, Eisen und Kalzium – für Eisen und Magnesium ist die Frucht sogar die höchste pflanzliche Quelle und damit ein Superfood. Dass anders als bei Bananen kaum einer wisse, aus welchen Nährstoffen sich Kakao zusammensetzt, sei gerade das Problem, so Vicente. „Wenn der Produzent das nicht weiß, dann weiß er auch nicht wie er richtig düngen soll.“ Wie gut sich ein Produzent wirklich mit Kakao auskennt, ließe sich ganz einfach testen, weiht er uns ein.

Jemand, der etwas von Kakao versteht, schneidet die Frucht so auf, dass die Samenreihe im Inneren nicht beschädigt wird und lässt einen anschließend nicht an den Samen, sondern an der leeren Hülle riechen. Während das Aroma der Samen viel zu konzentriert sei, könnte man an der Hülle das Zusammenspiel von Wasser und gesunder Erde riechen. Er greift nach einer reifen gelben Kakaofrucht, borgt sich von einem Mitarbeiter die Machete aus und öffnet die Frucht gekonnt mit zwei Schlägen an den Spitzen und weiteren zwei längs Frucht entlang. Dann reicht er uns die Schalenhälfte mit den frischen, weißen Kakaobohnen zum Probieren – ein weiterer Test.

Um das Aroma ideal wahrnehmen zu können, sollte man immer eine Bohne aus der Mitte nehmen, an den Enden sei die Konzentration zu hoch und würde das eigentliche Aroma verfälschen. Auf die Frage „Wonach schmeckt eigentlich Kakao?“ bekommt man in Ländern, in denen die tropische Frucht nicht wächst, häufig „Schokolade“ zur Antwort. Dabei ist es natürlich genau andersherum. Das Endprodukte Schokolade schmeckt nach dem Kakao, der dafür verwendet wurde. Und beim Naturprodukt Kakao gibt es große Unterschiede. Die fangen bereits bei der Optik an: Während die einen flaschenförmig, mit tiefen Rillen und spitzen Enden sind, kommen andere komplett glatt und abgerundet mit dünner Schale daher – von den vielen unterschiedlichen Farbtönen ganz zu schweigen.

Wir gehen in medias cacao und kosten uns durch. Die erste Kakaobohne, die uns Vicente zum „Lutschen, nicht kauen!“ reicht, schmeckt nach Banane und Mango. Die nächste riecht sehr grün, sie schmeckt blumiger und nach Kräutern. Eine andere erinnert an Grapefruit mit einer präsenten Säure, die nächste hat was von einem besseren Nimm-2-Bonbon. Gegen ihre Vorgänger stinkt die letzte Bohne, die wir probieren, mit ihrer Wässrigkeit, Säure und einem kurzen Abgang ziemlich ab. Gibt man davon aber 3-5% zu einer Schokolade hinzu, verleiht sie ihr Charakter, klärt uns Vicente auf.
@FrauSatt und Kevin Kugel Chocolatier mit Vicente Norero von @CaminoVerdCacao auf der Kakaoroute in #ECU @Pro_Ecuador pic.twitter.com/rGqs8LbGTN
— Schokolade Ecuador (@ChocoEcuador) 25. Oktober 2014
Wir steigen wieder in den Bus und fahren den dicht bewachsenen grünen Weg entlang, von dem die Plantage ihren Namen hat, vorbei an Biokakao und konventionellem Kakao. Warum Camino Verde nicht nur Bio anbaut, fragen wir. Die Antwort: Bei biologischem Kakao variiere der Geschmack stärker und ließe sich nicht so gut kontrollieren wie im konventionellen Anbau, viele Chocolatiers würden aber diesen gleichbleibenden Geschmack wünschen. Ich wundere mich, ob es in Ecuador wohl ähnlich wie bei uns Subventionen für Bio-Landbau gibt und ernte Kopfschütteln. In manchen Kakaowäldern erspähen wir auch Bananenbäume. Ähnlich wie Mina von Rancho Grande glaubt auch Vincente daran, dass andere Pflanzen den Grundgeschmack eines Kakao abwandeln können. Er weiß es sogar genau und kennt den wissenschaftlichen Grund dafür: Hybride durch Fremdbestäubung.

Wenn Vicente von seinem Kakao spricht, dann nicht wie viele andere Produzenten von Nacional, sondern stets von Neonacional. Die ursprüngliche Edelkakaosorte Criollo habe sich im Laufe der Zeit genetisch verändert und sei in ihrer reinen Form heute kaum noch vorhanden. Beim dem, was heute in Ecuador wachse, handle es sich um Nachfahren des ecuadorianischen Nacional-Kakaos, Neonacional eben.
Survival of the fittest im Kakaogewächshaus

„Pflanzen aus dem Labor sind ideale Bedingungen gewohnt, im Feld aber sterben sie leicht“, erfahren wir beim Betreten des großen grünen Zeltes, in das uns Vicente mitnimmt. Auf beiden Seiten des schmalen Weges stehen kleine Kakaobaumsetzlinge, im Zentrum des Zeltes gehen zwei Männer an einem Tisch ihrer Arbeit nach. Weil Camino Verde insbesondere im Bio-Anbau nur starke Pflanzen ins Leben im Kakaowald entlassen möchte, werden sie hier einer Reihe an abhärtenden Maßnahmen unterzogen, die Vicente mit dem Film „300“ vergleicht.

Statt wie im Film nur ein Prozent, überleben hier glücklicherweise immerhin 70-80% der Jungpflanzen. Mitarbeiter Gavino erklärt uns den Prozess des Injerto, zu Deutsch: Propfen. Ähnlich wie wir es in Europa mit unseren Obstbäumen machen, werden in Ecuador Kakaobäume veredelt und dabei starke Pflanzen („Patron“) mit produktiveren Verbunden. Bei Camino Verde wird nach den Mondphasen (Demeter) ein Zweig des Kakaosetzlings abgeschnitten und mithilfe von Bast mit dem Trieb eines anderen Kakaobaums verbunden.

Anschließend geht der Härtetest für die jungen Pflanzen los und sie werden unter Stress gesetzt: Zunächst werden ihnen die Blätter abgeschnitten und damit quasi ihre Lungen halbiert. Danach werden sie in einen Sack gesteckt und darin bis zu 35° Celsius ausgesetzt. Im Anschluss dürfen sich die Überlebenden in einem Folientunnel akklimatisieren.



Ich komme mit dem Staunen, Fragen und Notieren kaum nach, so unbegrenzt wie das Wissen aus Vincente heraussprudelt. Wer so viel Ahnung von Kakao und seinem Anbau hat, der hat bestimmt Agrarwissenschaften studiert, mutmaße ich. Weit gefehlt. Beim Mittagessen in einem von zwei Häusern aus dem Jahre 1960, in denen Camino Verde auf der Plantage Touristen, aber auch Firmen beherbergt und Seminare abhält, erzählt uns Vincente mehr über seinen ungewöhnlichen Werdegang.

Als gelernter Wirtschaftswissenschaftler hatte er mit Landwirtschaft oder Kakao zunächst rein gar nichts am Hut. Seine Frau aber stamme aus einer Familie mit über hunderjähriger landwirtschaftlicher Tradition und langer Erfahrung im Kakaoanbau. Erst acht Jahre sei es her, dass die beiden die Plantage, die zuvor 16 Jahre lang verwildert war, übernommen haben und Ordnung in den Urwald gebracht haben. Heute zählt das Unternehmen 500 Mitarbeiter, exportiert Kakao auch nach Europa und ist der größte Produzent von Bananen in ganz Südamerika. Von Neugier und der Ambition angetrieben, Kakao zu verstehen und so viel Erfahrung wie möglich zu sammeln, hat sich Vincente in den vergangenen acht Jahren alles angeeignet, was er heute über Kakao weiß. Über seinen richtigen Anbau, der 50 Prozent eines guten Produktes ausmacht, und die Weiterverarbeitung des Kakao. Aber darüber mehr im nächsten Blogpost aus „Ecuador – der Heimat der besten Schokolade“*.
* Titel der internationalen Kampagne des Außenhandelsministeriums Ecuador
Kevin Kugel visita hoy la hacienda Camino Verde, en Balao "Ecuador: origin of the best Chocolate" pic.twitter.com/P9DP1bCQv1
— Ecuador Ama la Vida (@amalavidaEC) October 22, 2014
It is a great honor for me, as ecuadorian, that you had visited my country and I hope you had enjoyed. Wish you successes for both.
Thank you so much. Travelling Ecuador’s cacao route has truly been a fascinating experience for me and I sure will be back. Even though we’ve visited so many farms and cacao regions throughout this week, I only got to see so little of this great country.